Die Insel der Überraschungen

 

Es sollten ein paar relaxte Ferientage werden, einfach so weg, um der Zuvielisation zu entfliehen. Die Ägadischen Inseln schienen uns dafür perfekt. Die Inselgruppe vor der Westküste Siziliens liegt ein paar Seemeilen vom Flugplatz und der Charterbasis in Trapani entfernt. Kurze Distanzen, reichlich Inselauswahl (drei etwas grössere Inseln Favignana, Levanzo und Marettimo sowie einige kleineren Inseln wie Formica und Maraone) machen dieses Revier ideal fürs Einsegeln zur Saison oder für Kurzferien.

Aufstieg der Familie Florio. Im Hafen von Favignana liegt kein einziges Segelboot, wir können problemlos an der Steinpier längseits gehen. Hier riecht und atmet alles Thunfisch. Die Tonnara, die Thunfischfabrik auf der anderen Seite des Hafens, die Geschäfte und Restaurants, der Tonno ist allgegenwärtig. Auch die prächtige Villa direkt am Hafen ist unmittelbar mit dem Raubfisch verbunden. Doch warum berühmte Autorennen, Industrie-Architektur, Sushi-Restaurants und Marsala -Wein hier in Favignana auf einen Nenner gebracht werden können, wird uns aber erst nach einem Besuch des „Ex Stabilimento Florio delle Tonnare di Favignana e Formica“ bewusst. Die ehemalige Thunfischfabrik wurde in eine spannende Kombination von Museum und Kunstgalerie verwandelt. Um 10.30 Uhr startet die Führung, die unser ganzes Ferienprogramm über den Haufen werfen wird. Auf dem Weg zum Eingang kommen wir an einem riesigen Ankerfriedhof vorbei. Mit diesen Ankern wurden die Stellnetze am Grund fixiert. Die über 2 m hohen Anker lassen erahnen, wie langwierig und mühsam die Mattanza in ihrem Aufbau war. Die Thunfischfabrik ist nicht mehr wiederzuerkennen. Was ich noch als Ruine in Erinnerung habe, hat sich jetzt in ein gekonnt restauriertes Juwel der Industriearchitektur verwandelt. Die Führung beginnt mit der Geschichte der Familie Florio, deren Familienwappen über dem Eingang prangt. Ein allegorisch-malariakranker Löwe trinkt aus einem Wasserloch mit Chininpflanzen, das ihn genesen lässt. Die Florios waren ursprünglich Gewürz- und Kolonialhändler aus Kalabrien, die sich nach einem Erdbeben in Palermo niederliessen. Die Geschäfte laufen gut und die Florios pachten zwei Tonnaras in der Nähe von Palermo. Thunfisch ist bereits ein gutes Geschäft mit einer langen arabischen Tradition, die sich in vielen Bezeichnungen äussert, so wird der Chef der Mattanzaflotte mit Rais betitelt. An den Kaps um Sizilien können die Thunfische leicht gefangen werden, die Beute ist reich und musste konserviert werden. In den Salinen von Trapani ist Salz praktischerweise gleich um die Ecke verfügbar. Vincenzo Florio, einziger Nachkomme der reichen Händlerfamilie, setzt auf Diversifizierung. Baumwolle und Tabak werden angepflanzt und verarbeitet, weitere Tonnare dazugepachtet und eine Schiffahrtsgesellschaft (der Vorläufer der heutigen Tirrenia) für den schwunghaften Handel gegründet Als er stirbt, erbt sein Sohn Ignazio ein riesiges Vermögen. Und er vermehrt es weiter: die Weinberge von Marsala kommen dazu, eine Metallgiesserei, eine Werft und schliesslich der Kauf gesamten Ägadischen Inseln mit ihren einträglichen Tonnaras. Ignazio geht die Sache im grossen Stil an. Ein berühmter Architekt entwirft die neue Fabrik, die teilweise mehr (Vollzeit-) Arbeiter beschäftigt als Fiat in Turin. Die clevere Geschäftsidee: hier wird der Thunfisch in Konservendosen mit Olivenöl erfunden. Bis zu 600 Arbeiter arbeiten in der Fabrik, einige kommen aus ganz Sizilien. Ein eigener Kindergarten kümmert sich um den Nachwuchs der Arbeiterinnen.

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