Sailing by doing – Vernon Deck

Im Juni 2013 machten meine Freundin Ylva und ich Ferien auf Hawaii. Wir hatten ein kleines Bungalow direkt am Strand gemietet und genossen es, jeden Morgen aufzuwachen, eine leichte Brise und den salzigen Geruch des Meeres zu spüren, die Wellen zu beobachten und schnorcheln zu gehen. Ich fühlte mich in meine Kindheit zurückversetzt – zurück in den kleinen neuseeländischen Küstenort, in dem ich aufgewachsen war, bevor ich im Teenageralter in die Schweiz zog.

 

Die Natur und Berggipfel der Alpen faszinierten mich sehr und als Outdoor- und Snowboardfotograf verdiente ich genügend Geld, um in der Schweiz gut leben zu können. Doch das Gefühl, das ich auf Hawaii verspürte, war einzigartig und anders. Ich merkte, dass ich den Ozean vermisste. Gleichzeitig wuchs in mir das Bedürfnis, der Schnelllebigkeit des Lebens, dem digitalen Wahnsinn, dem Konsumdenken der Menschen und dem allgemeinen Platzmangel in den Grossstädten zu entfliehen. Nach und nach gefiel mir die Idee, auf einem Segelboot zu leben und um die Welt zu reisen, immer besser.

Also erstellte ich einen Fünfjahresplan, um meine Idee in die Tat umzusetzen. Nie zuvor habe ich ein Boot besessen oder bin gar mit einem Segelboot in See gestochen. Doch ich setzte alles daran, mir das Segeln beizubringen. Ich informierte mich über YouTube, Google, las Bücher und surfte in Internetforen. Ich sog alle Informationen in mir auf und konnte recht bald realistisch abschätzen, was sich durchführen liesse. Viel Geld hatte ich zwar nicht, doch wollte ich genauso wenig die nächsten zwanzig Jahre mit Sparen verbringen, es musste also ein kleineres, eher älteres Segelboot werden. Auch war mir die Zeit zu schade, um Kurse zu belegen und nacheinander alle Segelscheine zu absolvieren. „Learning by doing“ war schon immer mein Motto, wieso sollte ich es diesmal anders machen?

Als ich 2014 auf einem längeren Fotoshooting in Australien unterwegs war, hielt ich in meiner Freizeit nach geeigneten Booten Ausschau – einfach aus Interesse, um zu sehen, was der Markt zu bieten hat. Je mehr ich mich umsah, desto bewusster wurde mir, dass die Ostküste der perfekte Ort war, um Segeln zu lernen. Ich besichtigte fünf Segelboote, doch keines davon gefiel mir. Als ich vor dem Sechsten stand, wusste ich, dass ich „mein“ Boot gefunden hatte. Es lag preislich zwar über meinem Limit, aber nicht so viel, dass ich es mir nicht leisten konnte. Es war stabil, von einer bekannten Marke und bereits um die Welt gesegelt. Ich wusste instinktiv, dass sie die Richtige war. „Sie“ nannte sich R.V. Nautilus II, eine Sparkman & Stephens 35 Fuss Sloop, war genau wie ich Baujahr 1974. Ich machte dem Eigentümer ein Angebot, ohne mir zu viele Hoffnungen zu machen, den Zuschlag zu bekommen. Doch ein paar Wochen später erhielt ich einen Anruf mit einer Zusage.

Nur 12 Monate meines Fünf-jahresplans waren vorbei und ich hatte  bereits ein eigenes Segelboot. Ich organisierte einen Anlegeplatz, verbrachte einen halben Tag damit, eine australische Boots-lizenz zu bekommen und kehrte eine Woche später in die Schweiz zurück. Die nächsten sechs Monate standen viele Fotoshootings auf dem Programm, doch dazwischen verbrachte ich jede freie Minute im Internet und recherchierte, schaute Segelvideos und las unzählige Bücher.

Als der Mai ins Land zog, flogen Ylva und ich zurück nach Australien, um offiziell unser Boot zu beziehen. Nach ein paar Wochen, die wir mit Putzen, Einrichten und der Wartung verbrachten, hissten wir in Brisbane erstmals die Segel Richtung Norden. Dieser erste Abend ausserhalb des Yachthafens war gleichzeitig das erste Mal, dass ich selbst den Anker auswarf. Dass wir in den Anfangsmonaten eher wenig segelten, muss ich nicht extra betonen. Wir waren absolute Anfänger und fuhren die meiste Zeit mit Motorunterstützung. Nur bei perfekten Wind- und Wetterverhältnissen hissten wir die Segel. So vermieden wir grössere Komplikationen.
Wir gingen es langsam an und nach und nach wuchs unser Vertrauen. In den ersten fünf Monaten schafften wir es bis zu den Whitsundays und zurück nach Brisbane, wovon wir über 1500 Meilen ohne Auto­pilot gesegelt waren. Dafür hatten wir ­unterwegs einige Probleme mit der Batterie, der Kühlung, den Segeln und der Solar­anlage, doch ich schaffte es, den übeln auf den Grund zu gehen und eine Lösung zu finden. Ich war süchtig!

2016 begleitete Ylva mich nur sechs Wochen lang, sodass ich Erfahrung im Einhand­segeln sammeln (ich hatte ja den Auto­piloten installiert) und mein Selbst­- vertrauen stärken konnte. Ich segelte ­allein bis zum äusseren Great Barrier Reef, erneuerte die Systeme an Bord und fühlte mich auf meiner kleinen, schwimmenden Nussschale wie Zuhause.

Aufgrund meiner positiven Erfahrungen an Bord reifte in mir die Idee heran, mehr zu wagen. Im Mai 2017 kehrte ich nach Bowen zurück, wo ich das Boot im September ­gelassen hatte. Ein riesiger Zyklon namens Debbie hatte erst kurz zuvor getobt und verheerende Zustände hinterlassen. Über 70 Boote aus der Region waren gesunken, doch Nautilus blieb unversehrt. Es dauerte zwei Wochen, bis ich alle Segel, die Sonnen­kollektoren neu angebracht und das Tauwerk ausgetauscht hatte. Danach war ich bereit loszulegen.

Damit ein Boot in andere Länder reisen darf, muss es im Ursprungsland registriert sein, man braucht so etwas wie einen ­Reisepass. Da ich kein australischer Staatsbürger bin, musste ich die Eintragung in Neuseeland vornehmen lassen. Dummerweise gab es dort schon ein Schiff namens Nautilus, sodass ich meins umtaufen musste. Ich nannte sie „Lets Live“ und konnte endlich unter der neuseeländischen Nationalflagge segeln. Als Ylva aus der Schweiz kam, machten wir uns zusammen auf den Weg in das 400 Meilen nördlich ­liegende Cairns. Wir befanden uns bereits im dritten Jahr meines Fünfjahresplans und hatten uns an die längeren Nachtfahrten gewöhnt und sahen die Meilen nur noch so an uns vorbeirauschten. Entlang des Weges hielten wir an atemberaubenden Orten wie Magnetic Island und Hinchinbrook, in Dunk Island blieben wir sogar mehrere Tage. Weil das Festland in dieser Region von Krokodilen besiedelt ist, blieben wir lieber in Inselnähe, wo wir noch schwimmen konnten. Die Passatwinde hatten ein­gesetzt, sodass wir tagelang mit dem Wind segeln konnten. Lets Live schipperte ­gemütlich mit sechs Knoten und wir nutzen die Zeit, um Bücher zu lesen oder ­Nickerchen in unserer Hängematte zu ­machen. Zuvor hatten wir ein paar Makrelen gefangen, sodass wir immer frischen Fisch im Kühlschrank hatten.

Nach einer Woche in Cairns musste Ylva in die Schweiz zurückkehren. Es ist der 1. Juli und ich sitze nun am Strand und stelle mir das Abenteuer vor, das vor mir liegt. Denn in weniger als einer Woche werde ich zwei Dinge tun, die ich noch nie zuvor gemacht habe: Einerseits verlasse ich ein Land auf dem Wasserweg, andererseits geht es erstmalig auf hohe See hinaus. Mein Ziel ist ein Archipel namens Louisiade, welches zu Papua Neuguinea gehört und aus einer Kette von winzigen Atollen besteht. Ihre Durchquerung wird mich fünf bis acht Tage kosten.

Es liegt bereits eine Weile zurück, dass ich zu dem Schluss gekommen bin, was ich mit meinem Boot wirklich machen will: Orte besuchen, die nur wenige vor mir gesehen haben. In der heutigen Zeit sind nur noch wenige Ecken der Welt wirklich unerschlossen, aber je länger es dauert und je aufwändiger es ist, um irgendwo hinzukommen, desto weniger Touristen fahren ihn. Das Louisiade-Archipel ist definitiv einer dieser Orte. Von dort möchte ich nach Osten zu den Salomon-Inseln segeln und für die Zeit danach habe ich noch keinen Plan. Aber irgendetwas wird sich bestimmt ergeben, das tut es immer. Fortsetzung folgt…

ZUR PERSON
Vernon Deck ist 42 Jahre alt und in Motueka, Neuseeland, geboren und aufgewachsen. Seit 1997 lebt er in der Schweiz und 2010 erlangte er die Schweizer Staatsbürgerschaft. Der hauptberufliche Fotograf arbeitet für Marken wie Volcom, RedBull, Electric, Roxy, Audi, Urban Rider und viele mehr. Via einer Crowdfunding Website kann man weitere seiner Reportagen unterstützen. Das Erstellen der Reisedokumentation in Bild, Video und Wort kostet natürlich Geld und Zeit, daher ist Vernon für jede Unterstütung dankbar.
Aus dem Englischen von Anna Karolina Stock
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