Heisses Pflaster

Vor zwei Jahren war Marseille europäische Kulturhauptstadt. Aber nicht nur dieses besondere Jahr brachte mehr Museen ans Mittelmeer. Das MaMo, das J1, MuCEM, das Musée des Arts Africains, Océaniens et Amérindiens: Marseille bouge, aber nicht nur kulturell.

Der junge Mann am Nebentisch gestikuliert wild mit dem Smartphone herum und sucht alle seine Taschen ab. Dann beugt er sich zu mir herüber „T’as du feu?“ Mit dem ersten tiefen Zug lehnt er sich zurück und blinzelt in die Sonne. Vor dem Strassencafé braust der Verkehr, doch dahinter, nach dem Meer von Booten und Yachten, spürt man das richtige Meer. „Mein Urgrossvater kam aus Italien, wollte nach Amerika, verpasste das Schiff und blieb hier,“ sinniert der Raucher neben mir.

„Ich wollte immer weg und bin immer noch hier. J’ai Marseille dans ma peau.“ Er spricht die beiden Seiten der Stadt an, die dunkle und die strahlend helle. Er hiesse eigentlich Riccardo, Richard auf französisch klinge aber langweilig, seine Freunde nennen in deshalb Ric. „So wie Rick, alias Bogart, im Film Casablanca?” frage ich. Kennt er nicht, ist wohl zu alt der Streifen. Ja, Belmondo und Delon als klassische Gangster im Marseille der Banden und Gangs, das kennt er noch, wie hiess noch der Film? Ach ja, Borsalino.

Apropos Film: Ein Freund von ihm hatte eine Statistenrolle im Film „Taxi“ von Luc Besson, der hier spielte. Er war im richtigen Moment am richtigen Ort und dann im richtigen Film. Sonst sei in Marseille Improvisieren angesagt. Man müsse schnell sein, flexibel. Die Stadt ändere sich ständig wie seine Laune. Wenn er morgens deprimiert durch die Strassen laufe, dann reiche am Nachmittag ein Blick aufs Meer und alles ändert. Er spricht ohne typisch provenzalischen Akzent, mit dem „ang“ am Ende der Wörter. Die Klischees sterben aus, erklärt er mir.
Den typischen ‘Alten’, Zigarette im Mundwinkel, Casquette auf dem Kopf, sieht man nur noch selten. Marseille ist etwas für Junge, Dynamische, Kreative. Auch wenn ihn die Galerien stören, die mitten in den alten Vierteln aufmachen („c’est pour les mecs qui ont du fric“). Doch die neuen Museen seien schon sehr schön. Wo vorher öde Industrie war, ist heute der Blick frei aufs glitzernde Blau. Bei einer zweiten „Clope“ (Zigarette) skizziert mir Ric sein nächstes Projekt. Für den Sommer will er mit einem fahrenden Marktstand die Strände und Calanques mit Essen und trinken versorgen. Wenn auch die Stadt und die Trends ändern, „la bouffe, ça reste toujours“. Seine „Carriole“ soll künstlerisch verziert sein – wie damals die Verkaufswagen zur Eröffnung des Museums Marseille-Provence. Ric springt auf und gibt mir noch einen Tipp: „Bestelle keine Bouillabaisse an Tagen mit Mistral,“ blinzelt er, „dann fährt nämlich kein Fischer raus. Du bekommst also nur Tie ühlfisch aufgetischt.“ Spricht’s und verschwindet im Gewusel auf dem Boulevard.

Je kiff cette ville!
Ich liebe diese Stadt