Vulkan voraus

Die Frage, nach dem Regen in der Bergregion stösst an Bord auf Unverständnis. „Regen? In den Bergen? Wen kümmert das? Hier scheint die Sonne und in zehn Minuten kommt der Wind. Bis dahin wollen wir raus aus dem Hafen sein“, bekomme ich in Le Port zu hören. Klar, die Zeit drängt, heute wird im Club Nautique Portoise an der Nordwestküste der 1512 von dem portugiesischen Seefahrer Pedro Mascarenhas entdeckten Maskarenen-Insel um die ersten Plätze geracet. Oft kommen zur Regatta “Voiles des Mascareignes“ auch Yachten von der Insel Mauritius herüber. Kurs auf die Vulkaninsel im südlichen Teil des Indiks. Hier hat sich vor drei Millionen Jahren der heute höchste Berg der Insel, der Piton de Neiges, aus den Tiefen des Ozeans erhoben. Der Name des längst erloschenen Vulkans verrät es: Zwar selten, aber doch hin und wieder, liegt am südlichsten Punkt der Europäischen Union Schnee auf dem Gipfel. Dann braucht er keine Wolkenkrone, um fürs Weiss zu sorgen. Zumindest für wenige Stunden nicht, denn kaum erhebt sich die gleissende Sonne, ist von dem winterlichen Glanz nichts mehr zu sehen.

Von der Antarktis aus ziehen die Wale im Herbst, also dann wenn bei uns endlich der Krokus blüht, nach Norden. Einige bleiben vor der der Ile de la Réunion, ein Teil zieht noch weiter hinauf in Richtung Äquator. Von „Taillevent“, einer Bénéteau First 367, kommen Zeichen. Die Crew winkt wild zu uns hinüber. Vorfahrt missachtet, Kurs geändert, Start verlegt? Was soll all das Gezappel? Der Ozean an Backbord verändert sich, wird glatter, das Wellengekräusel löst sich auf, die Oberfläche färbt sich gräulich, wird blank. Wächst hervor, wölbt sich auf eigene Art und Weise. Zwei Sekunden später entpuppt sich die unerwartete Veränderung als ein massiger grauer Rücken, der sich aus den Tiefen des Ozeans empor schält. Er wird breiter und länger, scheint kein Ende zu nehmen. Dann daneben ein zweiter, kleinerer Buckel. „Baleines, Baleines“ ruft die Crew, zeigt wild in die Richtung, damit ich die Wale auch wirklich sehe. Mein erster Wal vom Segelboot aus. Es wird nicht der letzte bleiben.

Jeden Tag begegnen wir ihnen draussen auf dem Ozean. Können sehen, wie die Mütter ihre Kinder versorgen. Hier auf dem einundzwanzigsten Grad südlicher Breite bringen sie dem Nachwuchs all das bei, was er später in den kalten antarktischen Gewässern zum Überleben beherrschen muss. Die Kälber werden lernen, hoch aus dem Wasser zu springen und sich anschliessend fest aus die Wasseroberfläche knallen zu lassen. Mit diesen Sprüngen werden sie später weiter im Süden ihre Nahrung zerkleinern und sich zurück im Warmen die in der Kälte eingefangenen Parasiten abschlagen.

“Und Apnoetauchen müssen sie schliesslich auch erst einmal lernen, die müssen lange und tief tauchen, ohne Luft zu holen”, erklärt Dimitri Stortz später, kurz vor meinem ersten Tauchgang im Indik. Das Tauchen hat er dank seiner Elsässer Wurzeln in Deutschland gelernt, aufgewachsen ist er in der Normandie. Doch inzwischen hat ihn die “Insel der Vereinigung“ in ihren Bann gezogen, vor allem ihre Unterwasserwelt. Von den imposanten Meeressäugern hat er sich fangen lassen. „Die Mütter drücken die kleinen ganz sanft mit ihren Flossen nach unten, immer wieder ein kleines Stückchen tiefer, ein bisschen länger, so lernen sie zu tauchen“. Wenn die Jungtiere sich ausruhen oder schlafen, seien es die Müttern, die sie mit ihren Flossen stützen. Halt gäben sie den Jungtieren, um so ihr Absinken zu vermeiden, erklärt Dimitri voller Enthusiasmus. Eigentlich ist er ein Technikfreak, was ja auch beim Tauchen hilft, doch erst wenn er von „seinen“ Walen erzählt, fangen seine Augen an zu leuchten.