Vulkan voraus

Über die Haie, die seit einiger Zeit vermehrt vor La Réunion gesichtet werden, spricht er nicht gern. Taucher haben schliesslich kaum je ein Problem mit den Schreckensgestalten der Meere. Für sie gehören Haibegegnungen zu den absoluten Highlights. Doch die Surfindustrie vor Ort leidet unter den verhängten Surfverboten, gebadet wird nur im Lagunenbereich. Haisichtungen sollen gemeldet werden, dann wird neben all den Warnschildern auch noch die Flagge mit dem Requin, dem Hai, gehisst. Die Segler dagegen stören sich nicht an Bullen- oder Tigerhai.

In den Optis lernt die Jugend auf dem Indischen Ozean das Segeln genauso wie auf den Seen in Kontinentaleuropa, inklusive der ein oder anderen Kenterung. Katamarane brettern die Westküste entlang. Im Trapez stehen die Vorschoter nur knapp über der Wasseroberfläche, tauchen ein, geben Gas. Ebenfalls typische Kenterkandidaten. Sie scheinen keinen einzigen Gedanken an beisswütige Fische zu verschwenden, sondern sich lieber um den perfekten Trimm kümmern. Dreieckige Flossen sind nicht zu sehen. Ich bin erleichtert. „Die würdest Du ja auch nicht so einfach entdecken“, zerstört Christophe Hamon, Yachthändler und Miteigner unserer Bénéteau First Class Europe, meine friedliche Hailose Illusion. „Überleg doch mal, die schwimmen im Normalfall nicht an der Oberfläche, die sind irgendwo unten im Ozean“. Und da haben sie reichlich Platz – denn bis auf 4000 Meter geht es hier hinunter. „Und ausserdem warten die nicht auf dich“, amüsiert er sich über meine Haiphobie. Die Wale dagegen zieht es dagegen immer wieder an die Oberfläche, sehr zu unserer Freude. Die Yachten halten Abstand. Hier würde keine Crew ihr Schiff näher an die Meeressäuger heran steuern. Eher würden sie den Start verschieben, abdrehen oder den Druck aus den Segeln nehmen, als diese Tiere zu stören. Doch genauso plötzlich wie sie aufgetaucht sind, ziehen die Buckelwale wieder davon.

Der Weg zur Startlinie ist frei. Es kann gesegelt werden. In der Bucht von Saint Paul herrschen ideale Bedingungen. Südost und Ost sind die gängigen Windrichtungen. Schwarzer Sand, grün überwucherte Berge, weisse Wolken, blauer Ozean und in Kursrichtung die trockenbraune Savannenlandschaft des Cap la Houssaye.


Zu Füssen des Kaps liegt die Kriegsmarine. Die Kardinaltonne in der Bucht dient als Wendemarke. Brice Armengaud, der Président de Comité de la Course, steht französisch stolz und aufrecht in seinem schwankenden Motorbötchen, behält den Überblick an der Wendemarke. Zerzauste graue Locken, unrasierter Stoppelbart. Die blauen Streifen seines bretonischen Ringelshirt passen sich seiner runden Bauchform an. Die Küche auf La Réunion ist exzellent, ebenso der Rum. Noch geht Brice voll auf in seinem Wochenendbeschäftigung, später im Clubhaus wird er sich den Protesten stellen müssen. Wie in allen Segelvereinen gehören sie auch hier zum Clubleben der Um-die-Wette- Segler. Musste auch die Starttonne gerundet werden? Oder ging es gleich wieder hoch zur „Le Cardinale“? Fragen, die es zu beantworten gilt, Entscheidungen, die getroffen werden müssen, auch hier rund 10000 Kilometer von Paris entfernt. Dort sitzen übrigens noch immer die Nachfahren der einst reichsten Franzosen in wichtigen Ämtern.