Müllsammeln auf Spitzbergen

Dann geht es los. Plastikdeckel, Joghurtbecher, Netze, leinen, Schwimmer von Fischernetzen und Folien liegen am heute nebelverhüllten Strand, daneben ausgeblichene Baumstämme aus Sibirien. Auch sie wurden angeschwemmt. Dies allerdings zum Nutzen der Trapper, die sich daraus einen Unterschlupf bauen konnten. Der Müll dagegen ist grausam zur nordischen Tierwelt. „Dass ich in dieser atemberaubenden Landschaft auch der Umwelt noch etwas zurückgeben kann, indem ich den Müll wegräume, finde ich einfach grossartig“, freut sich Klaus winterling, der gemeinsam mit seiner Gattin unermüdlich die grossen Müllsäcke mit all dem angeschwemmten Plastik füllt. Guides bewachen die Müllsammler, suchen konzentriert das land ab. Die Gewehre sind geschultert. Barbara Post ist Biologin, hat in innsbruck studiert und geforscht. Jetzt passt sie auf uns auf, was ziemlich wichtig ist. Beinahe noch wichtiger sind aber ihre vorträge an Bord, in denen sie die naturaffinen Gäste in die Welt des Eises mitnimmt. Spätestens bei ihren erklärungen zu Sommereis, eisdicke, Tragfähigkeit, Drift, Beschaffenheit und art des Eises weiss jeder, dass er hier richtig ist und helfen muss.

Den Müll zu entsorgen, ihn vielleicht sogar zu vermeiden, wird zum gemeinsamen anliegen und sorgt für eine gewisse Gruppendynamik. Hier wird die Landschaft nicht einfach nur konsumiert, bei dieser Reise wird man Teil des Ganzen – Das hört sich zwar etwas hochtrabend an, ist aber so. Spitzbergen wird zum eigenen anliegen.

Auch Hansjörg Tremnitzer aus Würenlingen im Aargau packt mit an. Vor 43 Jahren waren er und seine Frau Sigrid schon einmal auf Spitzbergen, nicht so komfortabel wie heute, sondern mit dem Schiff sind sie damals aus Norwegen herübergekommen, haben sich ausbooten lassen und sind dann mit Zelt und Ski auf die Gletscher gegangen. Heute sind seine Schritte auf dem steinigen Strand nicht mehr ganz so sicher. Das Bücken fällt dem 73jährigen schwer, doch: „Der Müll muss weg, schliesslich bin ich hierhergekommen, um aufzuräumen.“ So hangelt es sich auf einen Stock gestützt von Plastikteil zu Plastikteil. Seine Frau eilt voran zum nächsten Strick.

16 prall gefüllte Säcke liegen später auf dem Zwischendeck der Ortelius, 16 Kubikmeter Müll, aufgesammelt an Strandabschnitten mit einer Gesamtlänge von 7,85 Kilometern. Mehr geht nicht, mehr Säcke gibt es nicht und dabei hätte manch einer gern noch weiter gesammelt, um dem entgegen zu wirken, was auch im vortragsraum unten im Bauch des Schiffes zuvor gezeigt wurde: Rentiere, deren Geweihe sich in einem Fischernetz verheddert hatten, zusammengebunden waren sie wie siamesische Zwillinge, Fressen unmöglich, Befreien ebenso – grausam. Sie konnten vom Fotografen gerettet werden. Dann ein eisbär, dessen Ohrenmarke hatte sich ebenfalls in einem Netz verfangen. Auch er konnte gerettet werden. Anders ging es den Robben, die sich mit den dünnen, unglaublich harten und scharfkantigen Paketbändern stranguliert hatten. Für sie kam jede Hilfe zu spät! „Die konnte man nur noch erschiessen, um sie wenigstens von ihrem leid zu erlösen“, kommentierte der Schweizer Josef Wermelinger, der die deutschsprachigen Gäste bei den Ausfahrten betreut, die erschreckenden Szenarien, die sich in dieser grandiosen Landschaft abspielen. Danach bückt man sich noch engagierter nach dem Plastik. Das aufräumen hat man nach solchen Bildern verinnerlicht.

Zuhause an der Gemüsetheke wird nicht mehr zu den dünnen Tüten für zwei Tomaten oder eine Möhre gegriffen werden. Denn man weiss warum – vor allem dann, wenn die Ortelius nördlich des 81. Breitengrades auf einmal die Maschine stoppt, sich treiben lässt und man ihn auf 50 Grad in seiner eisigen umgebung entdeckt. Gemächlich schlurft der stattliche Bär übers Packeis. Hinter ihm liegt der Rest seiner Beute, eine Bartrobbe hat er erwischt. Jetzt ist er satt. in ein paar wochen wird er wieder zusammen mit dem Eis ans Land zurückkehren und von dort aus jagen. Sein Revier ist schon geputzt.