Ein Meer von Köstlichkeiten

Nach einer kleinen Degustationsrunde geht es auf einer schmalen und kurvenreichen Naturstrasse über Stock und Stein und durch dichten Wald zum Familiengut. Nachdem mir schon erste Zweifel kommen, ob wir auf dem richtigen Weg sind, öffnet sich unversehen eine grosse Lichtung. Die Ruine eines verlassenen Gehöfts haben die Lo Francos vor 30 Jahren günstig erstanden und daraus ihren Familiensitz fürs Wochenende gemacht. Das La Lignana (mit der alten Ölmühle), sieht wie eine Märchenfestung aus, jeder Vorbesitzer hat nach seinem Gusto aus- und angebaut, bis schliesslich ein verwinkeltes Schachtelwerk von unterschiedlichen Hausteilen und Innenhöfen auf verschiedenen Ebenen auf der Wiese stand. Davor steht natürlich wieder ein Schatten spendender Baum, darunter ein gedeckter Tisch (mit rot/weiss-karierter Tischdecke – Sie haben es sicher bereits geahnt). Überaus herzlich ist der Empfang durch zwei der drei Lo Franco-Brüder. Gianni, der älteste der drei und deshalb auch Capo genannt, wird von Bandino, dem Jüngsten, entschuldigt, dafür ist Antonio, der Mittlere, gleich mit der Familie da. Während Köchin Luigina souverän an den Töpfen hantiert und das mehrgängige Menu zum Servieren bereit macht, sind wir mit den Brüdern längst beim Plaudern und – wie könnte es unter Seglern auch anders sein – erzählen wir uns witizge Anekdoten vom Meer und Bordleben. Dank ihren Eltern begannen die Tre Fratelli schon früh das Leben auf dem Wasser zu schätzen. Ihr Vater Piero konnte sich als Textilindustrieller auch grössere Yachten leisten, mit denen er häufig und gerne an Regatten teilnahm. Heute geniessen die Brüder gerne Törns mit ihren Familien.

Wir philosophieren über die Parallelen zwischen windgetriebenem Segeln und bio-dynamischer Landwirtschaft, weil ich verstehen möchte, wie ein erfolgreicher Unternehmer plötzlich zum gefeierten „Carbon Farmer“ wird (Dokutitel eines Filmes über die Fattoria, der 2009 an der internationalem Klimakonferenz als Musterbespiel für ökologisch-nachhaltige Landwirtschaft gezeigt wurde). Antonio erzählt von der bäuerlichen Grossmutter Caterina, welche die Fattoria di Montarfoni in den Hügeln am Rand des Arnotals leitete und sich neumodischen Errungenschaften wie Pestiziden und Chemiedünger verweigerte. In den sechziger Jahren zogen viele Bauern aus, um in der Industrie Arbeit zu finden. Das Mezzadria-System, wo der Landherr für die Hälfte der Ernte den Bauern Felder, Häuser und Ställe zur Verfügung stellte, kollabierte. Ganze Landstriche verwaisten, die Gebäude zerfielen zu Ruinen. Als Vater Piero und Mutter Giuliana sich auf die wahren Werte zurückbesannen und die Liebe zum Land auch bei ihren drei Söhnen spürten, verkaufte Piero kurzhand seine Kleiderfabrik und erwarb Schritt für Schritt die Gebäude und Grundstücke des heutigen Anwesens. Eines nach dem andern wurden die ehemaligen Wohn- und Wirtschaftsgebäude mit viel Fingerspitzengefühl renoviert. Die Olivenbäume und die Weinberge wurden aus ihrem Dornröschenschlaf erweckt und eine herrenlose Schafherde adoptiert. In den Jahren danach wurden Strässchen angelegt, um die einzelnen Häuser miteinander zu verbinden, Trockenmauern repariert, Regenwasser-Auffangbecken für die Felder angelegt.

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